Corinnas Quartier Talk

Corinnas Quartier Talk mit Eva Hardmeier

Eva Hardmeier ist mit dem Tod vertraut; seit Jahren arbeitet sie in der Onkologie des Beau-Site, begleitet Menschen in ihrer letzten Lebenszeit und wird mit Schicksalen konfrontiert. 2019 hat sie hierzu das Buch «Bettgeschichten – am Ende des Lebens» über das Sterben veröffentlicht. Ihr zweites Buch «NELE, ein Sommerlibretto» handelt auch vom Sterben und spielt in Kiew, einer Stadt, die heute wieder mit dem Tod konfrontiert ist ... wir haben Eva Hardmeier zu ihren Gedanken befragt.

Eva Hardmeier
Eva Hardmeier. Bild: zVg

Eva, hat dich das Sterben, der Tod seit jeher interessiert?
Das Sterben und das Begleiten wurden erst seit meiner Arbeit auf der Onkologie zu einem grossen Thema. Mein wunderbares Team und ich sind mit Leidenschaft und viel Professionalität an der Arbeit. Wir betreuen viele Patient*innen und zum Glück liegen lange nicht alle im Sterben. Oft kennen wir sie über viele Jahre und es entsteht im besten Fall viel Vertrautheit.

Weshalb hast du dein erstes Buch Geschichten über das Sterben gewidmet?
Mit dem Schreiben begann ich relativ spät. Vorher fehlte es mir am nötigen Mut, denn meine Rechtschreibschwäche wurde zu meiner Schulzeit weder abgeklärt noch als ernstzunehmendes Handicap behandelt. Es wurde vor allem viel rot angestrichen und die Freude am Schreiben wurde mir genommen. Dank meiner Förderin und Lektorin Constance Lotz († 23.2.2023) entstanden dann zuerst Kolumnen und kurze Texte. An den Bettgeschichten schrieb ich über längere Zeit, inspiriert von all dem Erlebten und den Begegnungen. Zum Glück wurde dieses Buch dann von der Onkologiepflege Schweiz und der Krebsliga gefördert.

Die Geschichten sind sehr intim, sanft und liebevoll verfasst.
Ja, die Arbeit mit sterbenden Menschen ist immer intim, sterben ist etwas sehr Intimes. Dabei sanft und liebevoll zu sein, ist das Wunderbare an dieser Arbeit. Dazu gehören Berührungen, Gespräche, Humor und Stille.

Tagsüber warst du mit den Menschen deiner Geschichten in Kontakt, abends hast du das gemeinsam Erlebte niedergeschrieben? Konntest du dennoch abschalten oder wolltest du das bewusst nicht?
Ich arbeite 60 Prozent und das unregelmässig. Ich kann sehr gut abschalten. Das Schreiben ist nicht Verarbeitung, diese sollte am Arbeitsplatz geschehen. Das Schreiben ist für mich Kreativität und grosse Lust. Ich schreibe in Beizen, im Gras liegend, im Zug ... Eigentlich schreibe ich überall, manchmal mehr und manchmal weniger. Mein Notizheft habe ich immer dabei. Die Fleissarbeit geschieht dann am Laptop, auch das fast immer in einem Café oder in einer Bar, oft in Paris, immer nahe an den Menschen und den Puls des Lebens fühlend.

Welche der Geschichten ging dir besonders nahe?
Berühren tut es mich immer. Besonders nah geht es mir aber immer dann, wenn Menschen zu jung sterben müssen. Ich glaube, auch eine Hebamme ist bei jeder Geburt berührt. Die Geburt und der Tod sind eng miteinander verbunden; sie gehören zu den bedeutendsten Ereignissen im Leben. Eine Angehörige nannte mich mal Sterbehebamme, das hat was, finde ich. Es berührt mich immer, wenn auf der Basis des Vertrauens tiefe und ehrliche Gespräche oder gemeinsames Schweigen entstehen.

Entstanden auch Freundschaften in Zeiten des Abschiednehmens?
Es entsteht Nähe, manchmal mehr, manchmal weniger; zwar keine Freundschaften, aber es sind Gerüche, Bilder, Gesichter, Erzählungen und Anekdoten, die bleiben. Ansonsten ist es vergänglich und das ist, glaube ich, gut so.

Wie hast du Menschen beruhigt, wenn Ängste hochkamen?
Reden und Berühren helfen fast immer. Manchmal hole ich mir Unterstützung von Kolleg*innen. Manchmal sind es Medikamente, manchmal aber Nähe, Musik, Vertrauen und wenn nötig am Bettrand sitzen und beim «Aushalten» da sein. Lachen und Fröhlichkeit sind auch sehr wichtig und in meinem Team zum Glück in grosser Menge vorhanden.

In einem Interview hast du einmal gesagt, dass wir vieles von Sterbenden abschauen könnten, das Geniessen der kleinen Momente. Wie geniesst du diese?
So oft mit der Endlichkeit konfrontiert zu sein, hat mich gelehrt, im Moment zu leben, das Leben zu geniessen und an Kleinigkeiten Freude zu haben. Worte wie Demut und Dankbarkeit haben in den letzten Jahren wieder Platz in meinem Wortschatz gefunden. Mit offenen Augen durchs Leben gehen, um das ganz Kleine nicht zu übersehen. Und immer mal innehalten.

Dein zweites, soeben erschienenes Buch handelt von einem neuen Beginn und vom Sterben in Kiew. Basiert die Geschichte auch auf wahren «Episoden» deines Lebens?
Naja, mein Leben ist natürlich eine Art Vorlage und es kommt mir oft vor, als wäre es eine alte Kiste, in der ich wühlen kann. Aber ich verfüge auch über viel Fantasie. Geschichten und Figuren zu erfinden und sie zu entwickeln – das ist für mich das Schönste am Schreiben. Sich mit ihnen anzufreunden, sich überraschen zu lassen, eine Weile in ihrer Gesellschaft zu verweilen, als wären sie ein Teil von mir, das ist wunderbar. Dass die Geschichte in Kiew spielt, hat mit meiner ukrainischen Freundin Zoryana Kushpler zu tun. Sie war während einigen Jahren Mezzosopranistin am Berner Stadttheater. Die Erzählung von Nele entstand lange vor dem Krieg. Das Vorwort ist diesbezüglich wichtig.

Auch in dieser Geschichte nehmen der Tod und das Leiden der Angehörigen einen wichtigen Platz ein und du stellst das Fulminante der Theaterinszenierung der Traurigkeit eines zu Ende gehenden Lebens gegenüber. Was bewegte dich zu genau dieser Geschichte?
Mir ging es in der Geschichte darum, zu zeigen, wie nahe doch immer alles beieinanderliegen kann. Das pulsierende, volle Leben, die Liebe, die Krankheit, der Tod, die Freuden der Kunst und das Feiern von Festen. Natürlich hat mir das Recherchieren unheimlich Spass gemacht; ich durfte ins Maskenbildneratelier und hinter der Bühne des Stadttheaters schnuppern und beobachten. Das Wichtigste aber war: Nele zog los, um ihren Traum zu leben! Die Zeit mit ihr habe ich ungemein genossen.

Du lebst am Rande des Nordquartiers. Nehmen wir an, du schreibst an deinem dritten Buch, einem Roman, der im Nordquartier spielt. Wo im Quartier läge die Peripherie dieser Geschichte?
Ich verrate gerne, dass in meinem nächsten Buch der Schosshaldenfriedhof eine Rolle spielen wird. Und es wird wieder gestorben, ich kann es nicht lassen. Zu viele Geschichten liegen verborgen und warten darauf, erzählt zu werden.

Wo bist du gerne im Nordquartier unterwegs?
Eigentlich überall ... Natürlich in meiner Siedlung, an der Aare, beim Einkaufen, in den Cafés, von denen es zum Glück immer mehr gibt. Das «Viktor» ist mein Büro und die Morgensonne ist am schönsten in der Barbière.

Und zu guter Letzt: Welchen grossen Traum möchtest du dir vor deiner Abreise von dieser Erde noch erfüllen?
Ich gehe nächsten Juli in Frührente. Tönt schrecklich und fühlt sich an, als wäre ich nicht mehr jung. Aber ich freue mich auf viel freie Zeit und vor allem aufs Schreiben natürlich. Wenn ich ehrlich bin, würde mir auch Erfolg mit meinen Büchern sehr gefallen; das ist eine Art Traum.

Danke, liebe Eva, für diesen Einblick, viel Erfolg weiterhin und stille schöne Geschichten.

www.evahardmeier.ch


Persönlich

Eva wurde 1961 in Bern geboren und wuchs mit ihrer jüngeren Schwester in der Halensiedlung auf. Nebst sehr liebevollen Eltern war der Umstand, an diesem speziellen Ort aufzuwachsen, ihr grösstes Privileg und prägend. Umgeben von Wald, Freiheit, Freundschaften, Kunst, vielen Büchern und mehr, war ihre Kindheit eine Inspiration fürs Leben. Eva lebte mit wenigen Ausnahmen immer in Bern. Seit ein paar Jahren besitzt sie ein kleines Bauernhaus im Simmental, wo sie sich, umgeben von Natur und manchmal Freunden, erholt. Als alleinerziehende Mutter zweier Kinder verlief ihr berufliches Leben mit vielen Umwegen, welche sie nicht missen möchte. Mit 50 beendete Eva ihre Berufslehre zur Fachfrau Gesundheit. 2011 begann sie mit der Arbeit auf der onkologischen Pflegeabteilung im Beau-Site.


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