Dieser Artikel wurde von der «Berner Zeitung» zur Verfügung gestellt.

Ein Abend am Roulettetisch

Mit Tausendernoten in der Trainerhose im Spielcasino

Die Hoffnung auf den schnellen Gewinn ist ungebrochen, wie ein Besuch im Grand Casino Bern zeigt. Einblick in eine Welt, die weniger glamourös ist als angenommen.

Michael Bucher
Grand Casino Bern
Der Reiz des schnellen Gewinns sorgt für anhaltenden Zulauf: 2022 verzeichneten die 21 Schweizer Spielcasinos 3,5 Millionen Eintritte. Foto: Beat Mathys

Mittwochabend in der Altjahrswoche: Die weihnachtliche Völlerei ist vorbei. Gleichzeitig nimmt im Berner Kursaal eine andere Zügellosigkeit Fahrt auf. Im Grand Casino Bern mit seinen 14 Spieltischen und 306 Geldspielautomaten wird tüchtig gezockt. Schon beim Eingang bildet sich eine Schlange. Zehn Franken kostet der Zugang ins Spielparadies für Erwachsene. Dazu gibt es gratis einen Softdrink.

Drinnen blinkt, rattert und piepst es aus allen Ecken. Die Glücksautomaten scheinen begehrt zu sein. Einmal davor, besitzen viele Spielende einiges an «Sitzleder» – es ist ja auch unverschämt bequem in den mächtigen Sesseln mit Becherhalter. Gespielt wird um tiefe bis mittlere dreistellige Beträge, wie eine nicht repräsentative Momentaufnahme zeigt.

Das repetitive Drücken von Knöpfen, um Linien mit gleichen Symbolen zu erhalten, ist der Prototyp des Glücksspiels. Mit Automaten machen die Schweizer Casinos den grössten Umsatz, laut Schweizer Casino-Verband beträgt ihr Anteil am Bruttospielertrag 83 Prozent. Dieser Betrag geht hervor aus der Differenz zwischen den Spieleinsätzen und den ausbezahlten Gewinnen.

An den Automaten herrscht ungefähr Geschlechterparität. Was auffällt: Die meisten sind bereits im gesetzten Alter. Auch Gäste aus dem asiatischen Raum sind überdurchschnittlich vertreten. Anders an den Blackjackund Roulettetischen. Es dominieren junge Männer das Bild, viele sprechen mit Balkan-Akzent.

Pech der vielen, Glück der wenigen

Den mondänen Charme, wie man ihn etwa aus James-Bond-Filmen kennt, sucht man hier vergebens. Im Anzug tritt praktisch niemand an die Spieltische. Freizeitkleidung ist angesagt. Der junge Mann, der beim Roulette gleich ein ganzes Bündel Tausendernoten hervorkramt, tut dies in grauen Trainerhosen und weissen Sneakers.

Der Besuch zeigt: Nach zwei entbehrungsreichen Pandemiejahren brummt der Laden wieder. Das belegen auch Zahlen. Mit rund 48 Millionen Bruttospielertrag erreichte das Berner Spielcasino der Kursaal-Gruppe letztes Jahr wieder das Vor-Pandemie- Niveau. Damit liegt Bern auf Platz sieben von den insgesamt 21 hiesigen Spielcasinos. Sie alle erhalten wieder mehr Zulauf.

Von den Umsätzen der Casinos profitiert auch die breite Bevölkerung. Denn je höher der Bruttospielertrag, desto höher die Spielbankenabgabe – je nach Fall muss ein Casino zwischen 40 und 80 Prozent des Umsatzes abliefern. Beim Grand Casino Bern waren es letztes Jahr 22,2 Millionen Franken, was 47 Prozent entspricht.

Weil es sich um ein sogenanntes A-Casino handelt, fliesst dieser Betrag vollständig in die AHV. Die kleineren B-Casinos mit beschränkten Höchsteinsätzen zahlen hingegen 60 Prozent in die AHV und 40 Prozent an den Standortkanton. Seit Bestehen der Casinos 2002 sind der Allgemeinheit dadurch rund 7,7 Milliarden Franken zugutegekommen.

Die hohe Zahl zeigt, wie beliebt Glücksspiele sind. Warum ist das so? Klar, da ist die Hoffnung auf den schnellen Gewinn, aus der sich schnell ein regelrechter Spielrausch entwickeln kann. Nirgends zeigt sich dies eindrücklicher als am Roulettetisch. Die Ausgangslage ist in der Tat verlockend: Wer beispielsweise 50 Franken auf Rot setzt, kann in weniger als einer Minute 100 Franken daraus machen. Die Chance dafür beträgt rund 50 Prozent. Genauso wahrscheinlich ist es jedoch, den Einsatz zu verlieren.

Wer an diesem Winterabend im Grand Casino Bern 50 Franken auf Rot setzen würde, wäre damit ein Aussenseiter. Hier wird vorwiegend auf einzelne der insgesamt 36 Zahlen gesetzt. Das ist zwar riskanter, bei einem Gewinn jedoch umso lukrativer.

Es ist offensichtlich: Die meisten Spieler stehen nicht das erste Mal an einem Roulettetisch. Während die Kugel im Kessel dreht, setzen sie hastig und scheinbar willkürlich ihre Chips gleich auf mehrere Zahlen. Zeitweise liegen bis zu 50 Chips auf dem Feld. Der Grossteil davon ist kurze Zeit später verloren und verschwindet in einer Luke im Tisch. Wie sagte der irische Dramatiker George Bernard Shaw einst: «Beim Spielen müssen viele verlieren, damit wenige gewinnen können.»

Der Mann in der Trainerhose schreitet auf und ab. Er setzt gleich an zwei Tischen parallel seine Einsätze. Dass er so in weniger als fünfzehn Minuten 2000 Franken in den Sand setzt, scheint ihn nicht gross umzutreiben. Kurze Zeit später landet ein älterer asiatischer Mann einen Volltreffer. Seine 33 hat gewonnen. Er erhält das 35-Fache seines Einsatzes, was er erstaunlich stoisch zur Kenntnis nimmt. Kein Jubel, kein Grinsen.

Die Bank gewinnt immer

Der ungebrochene Erfolg von Glücksspielen wie Roulette hat viel mit Psychologie zu tun. Dazu gibt es etliche wissenschaftliche Abhandlungen. Ein Fazit daraus: Obwohl es eigentlich offensichtlich ist, dass man als Spieler keinen Einfluss auf den Spielausgang hat, entsteht die Illusion einer gewissen Kontrolle. Vor allem dann, wenn man nur knapp danebenliegt. Man kriegt das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein und gleich abräumen zu können. Davon leben nicht nur Casinos, sondern auch Lottogesellschaften.

«Die Bank gewinnt immer» – der unter Spielern oft bemühte Satz ist statistisch belegt. Denn je länger man spielt, desto höher sind in der Regel die Verluste. Casinos wollen folglich, dass Spielerinnen und Spieler so lange wie möglich bleiben. Dazu greifen sie auf Tricks zurück. So verzichten Casinos etwa auf natürliche Lichtquellen und Fenster. Somit kommt den Spielenden schneller das Zeitgefühl abhanden. Casinos sehen um 15 Uhr genauso aus und fühlen sich genauso an wie um 3 Uhr nachts.

Neben Psychologie mischt auch Chemie mit. Kurz bevor sich im Spiel entscheidet, ob ein Gewinn oder ein Verlust resultiert, schüttet der Körper den Botenstoff Dopamin aus – ein Glückshormon, das abhängig machen kann. Gegenüber dem «Tages- Anzeiger» meinte Christian Ingold, Leiter Prävention des Zentrums für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte in Zürich: «Wie bei Alkohol oder Drogen folgt auch im Glücksspiel auf die Gewöhnung eine Dosissteigerung.»

Laut der Stiftung Sucht Schweiz zeigen 192’000 Spieler und Spielerinnen in der Schweiz ein «exzessives Spielverhalten». Suchtgefährdet sind tendenziell eher junge Männer. Hinzu kommen meist ein tiefes Bildungsniveau und übermässiger Alkohol- oder Drogenkonsum. Viele Betroffene sind zudem verschuldet. «Zocken ist der Sohn des Geizes und der Vater der Verzweiflung » lautet ein Sprichwort.

Um Spielsucht einzudämmen, sind Spielcasinos von Gesetzes wegen zu einem Sozialschutzkonzept verpflichtet. Dazu gehört etwa die Ausweispflicht. Damit kann geprüft werden, ob eine Person mit einer Spielsperre belegt ist. Daneben gibt es eine Meldestelle sowie geschultes Aufsichtspersonal. Laut dem Grand Casino Bern lassen sich neben den Lohnkosten fast eine Million Franken an Beratungsund Abklärungskosten direkt dem Spielerschutz zuordnen.

Mehr Spielsperren wegen Onlineboom

Trotz der Schutzmassnahmen blicken Suchtexperten in jüngster Zeit besorgt auf das Glücksspielgeschäft. Dies hat mit dem stetig wachsenden Onlineangebot zu tun. Seit 2019 erlaubt das Geldspielgesetz den Schweizer Casinos, ihre Spiele auch online anzubieten. Ausländische Anbieter werden hingegen gesperrt.

Elf Schweizer Casinos machen bis heute Gebrauch von der neuen Möglichkeit. Die Umsätze aus dem Onlinegeschäft sind seither auf 250 Millionen Franken im Jahr 2022 emporgeschnellt. Für zusätzlichen Schub sorgten dabei die Teillockdowns während der Pandemie.

Auch das Grand Casino Bern bietet seit 2019 Onlineglücksspiele an. 3,4 Millionen betrug der Bruttospielertrag 2022. Das Berner Spielcasino spricht von einer «erfreulichen Entwicklung». Man baue das Angebot stetig aus; aktuell beläuft sich die Auswahl auf über 1300 Onlinespiele.

Doch warum ist diese Entwicklung problematisch? «Onlinespiele sind grundsätzlich gefährlicher, da sie per Handy ständig und überall gespielt werden können. Man kann also immer weiterspielen», sagt Markus Meury von Sucht Schweiz. Zudem falle die Sozialkontrolle weg. Und: Es werde oft mit Boni gelockt. «Der Anbieter merkt schnell, welche Spiele angeboten werden müssen, damit der Spieler zugreift», so Meury.

Ein Indikator dafür, dass die Glücksspielsucht seit Einführung der Onlinespiele zugenommen hat, ist die Zahl der Spieler, die wegen Überschuldung oder unverhältnismässiger Einsätze gesperrt werden. Während bis 2019 in der Schweiz jährlich zwischen 3000 und 3500 neue Spielsperren verhängt wurden, hat sich die Anzahl 2022 mit 12’142 Sperren beinahe vervierfacht. Dabei ist es nicht immer das Casino, das aktiv einschreitet. Im Grand Casino Bern haben dieses Jahr drei Viertel der insgesamt 200 neu gesperrten Spieler von sich aus eine Sperre beantragt, wie es dort auf Anfrage heisst.

Es ist mittlerweile 21 Uhr im Kursaal, noch immer strömen Leute ins Casino, um ihr Glück zu versuchen. Der Trainerhosenmann verlässt zusammen mit einem Kollegen den Saal. Wie viele Tausendernoten sein Bündel zählt, lässt sich nicht ausmachen. Gleichzeitig betreten zwei ältere Herren die verheissungsvoll blinkende Spielwelt. «Heute nehmen wir die aus», meint der eine zum anderen. Der Traum vom grossen Gewinn, er lebt.

Umsätze Online-Spiele
Grafik: mib, mrue / Quelle: Schweizer Casino Verband
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