Das freie Orchester

Wie klingt der Garten, wie die Stadt und wie tönt die Stille?

Musizieren, Komponieren und Improvisieren ohne musikalische Vorbedingungen, mit einfachen Alltagsgegenständen und ohne Angst, etwas falsch zu machen: Das ist das Freie Orchester von «Tönstör», der Organisation für experimentelle Musikvermittlung. Aus der Fantasie der Teilnehmenden werden gemeinsam Musikstücke aufgebaut und auch aufgeführt.

Martin Jost
Freies Orchester
Im Freien Orchester gibt es sehr viel Raum für Fantasie und Eigeninitiative. (Bilder: zVg)

In der Welt der Musik wird davon ausgegangen, dass es etwa 1200 Instrumente gibt. Mit dem Bau von Instrumenten hat der Mensch schon früh begonnen, der älteste Beleg für ein Musikinstrument ist rund 35 000 Jahre alt; es ist eine Flöte, gebaut aus Knochen des Gänsegeiers. Der Vogel hat bis heute überlebt; genau gleich wie die Instrumente, die ohne weiteres durch Alltagsgegenstände wie Schwingbesen, Giesskannen, Blechdosen, Holzschachteln, Schläuche oder Röstiraffeln ersetzt oder ergänzt werden können. Wie im Freien Orchester, das sich zu seinen Workshops in der Feuerwehr Viktoria trifft. «Ja, das ist Musik, aber anders», sagt Thomas Jacobi, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter von «Tönstör», «vor allem, weil kein Druck besteht, weil es kein Falsch oder Richtig gibt. Dafür gibt es Raum für sehr viel Fantasie und Eigeninitiative der Mitglieder.» Thomas Jacobi hat den Verein «Tonstör», der ursprünglich 2008 gegründet wurde, vor sieben Jahren wieder neu aufgebaut. Die Plattform bietet vier Projektgefässe zur Musikvermittlung an, immer dem Grundsatz von «Tönstör» entsprechend, die musikalische Erfahrung auf sehr niederschwellige Art zu öffnen.

«Die ganze Welt klingt»

Nebst dem Freien Orchester gibt es Workshops an Schulen, ein Projekt zum Thema Ökologie mit Jugendgruppen und in enger Zusammenarbeit mit Pro Natura, dazu kommen ausserschulische Musikwerkstätten für Kinder und Jugendliche. «Die experimentelle Musik hat den Horizont komplett geöffnet», ist Thomas Jacobi überzeugt und bringt auf den Punkt, wo für ihn und sein Team der Kern ihres Engagements steckt: «Die ganze Welt klingt. Alle Objekte, alle Oberf lächen klingen und natürlich klingt auch die Natur. Diese Klänge nehmen wir durch genaues Hinhören auf und verwandeln sie in freie Kompositionen.» In der Form von Improvisation werden die Stimmungen aus der Umgebung mit konventionellen Instrumenten oder einfachen Alltagsgegenständen zusammengefügt zu ganzen Musikszenen. Sei der Horizont erst einmal geöffnet, so Thomas Jacobi, gebe es kaum Einschränkungen und damit erschaffe man sich ein enorm aufregendes, kreatives Feld. «In der herkömmlichen Musik gibt es Einschränkungen, vieles ist vorgegeben. Beispielsweise, wie und in welchem Abstand bei einer Geige die Finger auf die Saiten aufgesetzt werden; hingegen ist nicht vorgesehen, mit dem Instrument andere Klänge zu erzeugen als die gewohnten. Das wäre falsch.»

Kreativität ohne Hindernisse

Für den klassischen Gitarristen liegt genau da die Essenz der zeitgenössischen Musik, weil diese solches nicht ausschliesst. Rhetorisch fragt er, weshalb wir nicht offener sind, warum wir musikalisch nicht die ganze Welt mit all ihren Klängen in die Arme nehmen und daraus etwas Spannendes machen. Für Thomas Jacobi ist es richtig und wichtig, dass in der klassischen Musik eine gute Vorbildung nötig ist, um mit Befriedigung musizieren zu können. «Die Hürden sind allerdings hoch, nicht nur musikalisch, sondern auch sozial. Nicht alle können sich oder ihren Kindern einen langjährigen Musikunterricht leisten.» Die Erweiterung der Klänge mit unkonventionellen Mitteln ist für Thomas Jacobi ein möglicher Einstieg zur musikalischen Kreativität ohne Hindernisse und die klassische Musik sei eine wunderbare Errungenschaft; daneben habe es jedoch mehr als genug Raum für zeitgenössische Musik und das eine schliesse das andere nicht aus. «Es geht immer darum», antwortet Thomas Jacobi auf die Frage, weshalb mit Alltagsgegenständen Klänge und damit Musik erzeugt werden sollen, «den Menschen, ob jung oder alt, die Freude an der Gestaltung von Klängen zu ermöglichen und sie zu motivieren, differenzierte und niveauvolle Musik zu machen.»

Weiterhin Konzerte

Nebst den positiven Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen stellt er ein besonders grosses Interesse bei Menschen im reifen Alter fest: «Viele von ihnen spielten in jungen Jahren ein Instrument. Dann kommt das Leben daher, das sich abspult mit allem Drum und Dran. Bis zum Zeitpunkt, wo dieser Teil auch gelebt ist. Danach finden viele, dass es eigentlich schön war, Musik zu machen.» Was man sich jedoch oft nicht antun wolle, sei das erneute Erlernen der Musiktheorie, viel lieber möchten die Menschen schnell wieder zur Musik finden. Das ist im Freien Orchester möglich. Mit Musik, die ohne Vorbedingungen entsteht, deren Partituren aus Symbolen bestehen und die auch nicht das perfekte Beherrschen eines Instrumentes voraussetzt. Dafür gelangen die selbst geschaffenen Werke zu einer Schlussaufführung; wie im vergangenen November in der Kleinen Orangerie im Park Elfenau. Das Freie Orchester führte seine Komposition zum Thema Garten auf, musikalisch umrahmt von Verena Wüsthoff, einer Blockflötistin für zeitgenössische Musik. «Es wird vermutlich auch in Zukunft so sein», sagt Thomas Jacobi dazu, «dass wir bei den Konzerten Profis und Laien kombinieren.» Und er sagt auch noch, dass das Konzept funktioniert; das der Konzerte, aber auch das des Freien Orchesters überhaupt. Allein die Aussage einer Musikerin, sie habe vor der Aufführung keine Angst verspürt, etwas falsch zu machen, ist für Thomas Jacobi Motivation genug, um fortzufahren.

Thomas Jacobi
Thomas Jacobi, Geschäftsführer und künstlerischer Leiter von «Tönstör».
Freies Orchester
Die Klänge der unterschiedlichsten Objekte werden in freie Kompositionen umgewandelt.

Info

Workshops Frühjahr 2024:
Februar und März, Feuerwehr Viktoria


afdn_dev_skyscraper.svg
afdn_dev_skyscraper_mobile.svg