Dieser Artikel wurde von der «Plattform J» zur Verfügung gestellt.

Interview mit Christoph Hoigné

Aufbruchstimmung in der Berner Kultur- und Kabarettszene

Mit dem Auftritt von Stand-up-Comedian Claudio Zuccolini am vergangenen Donnerstagabend fiel nach 45 Jahren die letzte Klappe für das Theater am Käfigturm. Die Berner Kabarett- und Comedy-Szene lässt sich aber nicht unterkriegen, gleich mehrere Player sind oder wollen an den Start. Christoph Hoigné, Leiter vom Kulturlokal «La Cappella», beantwortet der Plattform J die brennendsten Fragen.

Peter Wäch
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Geschäftsführer Christoph Hoigné vom «La Cappella» blickt optimistisch in die Zukunft. (Foto: Lea Moser)

Die Spielzeiten im Theater am Käfigturm – kurz TaK – waren nicht zum ersten Mal geprägt von finanziellen Engpässen, Defiziten und auch Konkursen. Letztes Jahr war es leider wieder so weit. «Die Coronakrise war ein Beschleuniger der sich abzeichnenden Entwicklungen in der Gesellschaft, in der Kulturbranche und in der Wirtschaft generell», sagte Adrian Morgenegg gegenüber der Plattform J mit grossem Bedauern Ende November 2023. Nun ist definitiv Schluss, der letzte Vorhang ist gefallen. Beim langjährigen Leiter, der die Stätte von seinem Vater Roland Morgenegg übernommen hat, weiss man nicht, ob und wie es weiter geht mit ihm und dem alten Team.

Das Theater am Käfigturm
Das Theater am Käfigturm befindet sich mit der Spitalgasse 4 an bester Lage in Bern gleich beim Hauptbahnhof. (Foto: zvg)

Aus «TaK» wird «Sous Soul»

Gesichert ist hingegen, dass in den leeren Räumen des TaK der legendäre Club «Sous Soul» einziehen soll. Nach 13 Jahren Pause ist laut Initiant Flo Eichenberger ein «fluider Kulturort mit hochwertigen Überraschungen» geplant. Neben Tanz, Konzerten und DJ-Sets sollen dort an der Spitalgasse 4 in Bern auch Stand-up, Performance, Lesungen, Live-Podcasts, Filme und Theaterkonzepte Platz finden. Offenbar haben die Betreiber bereits 350'000 Franken von insgesamt
200 Aktionären beisammen. Das Kulturlokal «La Cappella» hat gerade sein 25-Jahre-Jubiläum gefeiert und der Leiter Christoph Hoigné ordnet das Geschehen für die Plattform J ein.

 

Ihr habt ein ganzes Jahr lang Jubiläum gefeiert, nämlich 25 Jahre Kulturleben mit der «La Cappella». Wie ist die Bilanz, so kurz vor den Sommerferien?
Christoph Hoigné: Unsere 26. Saison klingt mit einem guten, warmen Gefühl aus. Wir durften ein Vierteljahrhundert grossartige Kleinkunst feiern, mit 25 einmaligen Abenden, an denen über 50 Künstlerinnen und Künstler auftraten, die just an diesem Abend Geburtstag hatten – also quasi eine Geburtstagsparty hoch zwei. Überaus erfreulich ist es, dass die Publikumszahlen wieder auf dem Vor-Corona-Niveau liegen, dass wir viele volle oder sogar ausverkaufte Vorstellungen erleben. Das motiviert ungemein.

Sind die Besucher und Besucherinnen nach der Pandemie gleich zurückgekommen?
Der Neustart war zögerlich und holprig, damals, vor gefühlt 100 Jahren (lacht). Heute erinnern wir uns ja mit leichtem Schaudern an den Lockdown, die Maskenpflicht und die Impfzertifikate und können fast nicht mehr glauben, was vor drei, vier Jahren Realität war. Den ersten Lockdown haben wir genutzt, um das Haus zu renovieren – mehr als 1000 Arbeitsstunden lang haben wir als Cappella-Team geschliffen, gespachtelt und gepinselt! Und nach beiden Lockdowns haben wir vom ersten erlaubten Tag an wieder gespielt und mit treuen Stammkünstlerinnen und -künstlern spezielle Formate wie «Phönix» oder «Neustart» ausgeheckt und auf die frisch renovierte Bühne gebracht.

Aus der Not ist also viel Kreativität, Solidarität und Hoffnung entstanden?
Unser Motto lautet «hoffnungslos zuversichtlich» – und die Erfahrungen nach der Pandemie haben uns recht gegeben. Egal wie viele Online- oder Streamingangebote es gibt, egal wie bequem das neue Sofa und wie erfüllend das selber Brot backen ist: Die Menschen sehnen sich danach, sich mit Gleichgesinnten gemeinsam an einem schönen Ort von live dargebotener Bühnenkunst begeistern zu lassen. Darum hat sich die «Cappella» auch bald wieder mit Publikum gefüllt.

Die Berner Kabarett- und Comedyszene ist im Umbruch. Das Theater am Käfigturm muss seine Pforten schliessen, dort soll jetzt der Club «Sous Soul» auferstehen, allerdings auch mit Auftritten von Künstlern und vielem anderem. Bei Adrian Morgenegg und seinem Team weiss man noch nicht, ob es weitergeht. Dann gibt es ja noch das Ono, das Bierhübeli oder die Mühle Hunziken unweit von Bern. Wie viel Kleinkunst verträgt Bern?
Die Stadt und Region Bern hat eine sehr vielfältige und bunte Kulturszene, stark geprägt von den Keller- und Kleintheatern der 1960er- und 1970er-Jahre mit Künstlern wie den Berner Troubadours, Hanns Dieter Hüsch oder Franz Hohler. Das Theater am Käfigturm wurde in meinem Geburtsjahr gegründet, hat ein wechselvolles Schicksal hinter sich und ist ein wichtiger Teil der Berner Theatergeschichte. Ich freue mich, dass diese noch nicht endet und ich bin gespannt auf das neue Kapitel, das mit dem auferstandenen «Sous Soul» bald beginnen soll.

Das Casino Bern hat letztes Jahr aufgehört, eigene Veranstaltungen durchzuführen, und auch die Kulturfabrik Biglen hat Ende 2023 dicht gemacht. In und um Bern ist also wieder einiges in Bewegung.
In der Cappella haben wir in den letzten 26 Jahren mehr als 5300 Veranstaltungen durchgeführt und wir haben in unserer Region viele Lokale öffnen und wieder schliessen sehen. Das Angebot verändert sich und versucht, den Publikumsgeschmack zu treffen und dem Ausgehverhalten zu entsprechen. Das klassische Kabarett wird bereichert mit neuen Formen wie Slam Poetry, Improtheater und Live-Podcasts. Ein breites Angebot, wie wir es glücklicherweise in Bern finden, macht eine Stadt zur Kulturstadt, die auch Interessierte von weiter entfernten Orten anzieht.

Abgesehen von einer breit abgestützten Kulturszene in Bern, gibt es auch immer mehr andere Events, so unter anderem in der Gastrobranche oder im Pop-up-Bereich. Nicht zu vergessen auch die Couch-Potatos, die sich vor Netflix & Co. gemütlich eingerichtet haben. Wie viel «Anstrengung» braucht es heute, die Leute in die Theatersäle zu locken?
Die «Cappella» ist das Gegenteil eines Pop-up-Angebots, wir sehen uns eher als Olivenbaum, setzen auf langsames, gesundes Wachsen und Gedeihen, pflegen unser Publikum und unsere Künstler mit grosser Sorgfalt. Wer unser Haus verlässt, soll, dies mit dem Gefühl tun, gerne wiederzukommen. Gelingt uns das, haben wir unsere Arbeit gut gemacht.

Es scheint zu gelingen, wenn ich dich reden höre. Aber einfacher ist es nicht geworden?
Nein. Die klassischen Medien haben ihre Kulturberichterstattung massiv heruntergefahren, und Tageszeitungen publizieren nicht einmal mehr eine Übersicht der Konzerte und Veranstaltungen, die am jeweiligen Tag stattfinden, dafür aber seitenweise Fernsehprogramme und Börsenberichte.

Oh, ich höre hier Kritik an den Medien.
Nicht nur Kritik, sondern vor allem auch Bedauern. Das geneigte Publikum muss sich in der Tat selbst zurechtfinden, wofür ihm wiederum eine Flut von Online-Informationen zur Verfügung steht. Als Veranstalter muss man alle diese Kanäle bespielen und auch klassische Mittel einsetzen, wie Spielplan verschicken oder Plakate aufhängen. Fazit: «Kunst ist schön. Macht aber viel Arbeit» – ein Dialog aus der Oper «Die verkaufte Braut», der oft dem grossen Komiker Karl Valentin zugeschrieben wird.

Ist es heute noch verstärkt so, dass die grossen Namen wie Claudio Zuccolini, Helga Schneider, Müslüm oder Reeto von Gunten grossen Zulauf haben und unbekanntere Künstler wie Neulinge hart kämpfen müssen?
Die Neugier des Publikums auf Neues war schon grösser. Seit Corona ist es noch schwieriger geworden, für neue oder weniger bekannte Talente genügend Interesse zu wecken. In Zeiten allgemeiner und weltweiter Verunsicherung klammern sich die Menschen – oft wohl ganz unbewusst – an sichere Werte. Man besucht also lieber nochmals das Programm eines bekannten Stars und hat weniger Lust, sich auf Neues einzulassen. Damit müssen wir als innovativer Kulturort, der gerne Neuentdeckungen in Bern lancieren möchte, leben. Wir in der «Cappella» werden bald zwei neue Formate für offene und neugierige Kulturbegeisterte anbieten, eine monatliche Konzertreihe und ein besonderes Abo für Mutige.

Was denkst du, wie sieht diese Szene – Kleinkunst, Kabarett und Comedy – in fünf bis zehn Jahren aus hier in Bern. Wo steht das «La Cappella»? Wie sieht es bis dann mit der Künstlerdichte aus?
Berner Uhren ticken bekanntlich etwas langsamer als anderswo. Ich erwarte keine abrupten Veränderungen, aber osmotische Prozesse sind auch auf Sandstein möglich. An tollen Künstlerinnen und Künstlern fehlt es nicht, es werden von Jahr zu Jahr mehr. Auch nicht an Veranstaltungsorten. Hoffen wir, dass die Menschen wach, «gwundrig» und humorvoll bleiben! Das Berner Angebot für Kulturinteressierte wird hoffentlich auch in fünf, zehn oder 20 Jahren noch so vielfältig und bunt sein wie heute. Wir von der «Cappella» setzen uns auf jeden Fall Tag für Tag dafür ein.

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