Corinnas Quartier Talk mit Chrigu Brantschen
Christian Brantschen, der wohl Vielen bekannte Keyboarder von «Patent Ochsner», wohnt im Nordquartier und ist nebst den fast restlos ausverkauften Konzerten der «Ochsners » am Sonntag, 22. Dezember, mit seinem Soloprogramm «Branche» in der «La Cappella» zu hören.
Die «Mühli» war im Oktober 8-mal restlos und in Kürze ausverkauft. Und im gleichen Tenor gehts weiter bis April 2025: Kofmehl 8 Konzerte, Bierhübeli 8 Konzerte, Volkshaus Zürich 5 Konzerte und KKL 3 Konzerte – alle Tickets weg. Und daneben mit der Theaterproduktion «Bienen des Unsichtbaren» unterwegs, Komponieren und Privatleben.
Wer ist Chrigu Brantschen, wenn er nicht Musik macht? Gibt es die stillen Momente? Und welches Lied widerspiegelt ihn am ehesten?
Wo und wie bist du aufgewachsen und was hat deine Kindheit am meisten geprägt?
Als ich halbjährig war, sind meine Eltern (Vater Walliser, Mutter Französisch- Freiburgerin) in die Gemeinde Köniz gezogen. Mein Elternhaus war geprägt durch die französische Sprache und durch die welsche Kultur meiner Mutter. Ich fühlte mich hier oft fremd und nicht ganz zugehörig. Gab es bei Stuckys Brotsuppe oder Fleischvogel zu Mittag, gab es bei uns Papet Vaudois oder Moutarde de Bénichon. Hörte Familie Niederhauser Heintje, Peter Alexander und Beromünster, lief bei uns Radio Sottens mit France Gall und Henri Dès. Und die Wochenenden verbrachten wir oft bei unsern Verwandten in Fribourg und Vevey. Heute schätze ich meine welsche Herkunft sehr.
Wer hat dich inspiriert, Klavier zu spielen und weshalb hat dich das Akkordeon in der Kindheit nicht interessiert?
Wenn zu Hause am Mittag das Radio lief, haben mich die Songs, auf denen eine «elektrische Orge»‘ zu hören war, am meisten in den Bann gezogen. Meine Eltern erfüllten mir den Wunsch und kauften eine Heimorgel. Die waren in den frühen 70ern im Trend. Im Gruppenunterricht bei Wernly habe ich dann die ersten Töne erlernt. Aber der wirkliche Schub kam, als Chlöisu Baumberger mir auf dem Klavier die Begleitung zu «Let it be» zeigte. Von da an war Alles anders und mein autodidaktischer Weg nahm seinen Lauf. Mein Grossvater und mein Vater waren leidenschaftliche Akkordeonisten. Sie spielten Ländler bei jeder Zusammenkunft. Ich machte einen grossen Bogen um dieses Instrument. Später sang eine WG-Kollegin auf der Gasse Piaf-Lieder. Ich war 22 und ging zu Musik Müller ein Akkordeon kaufen. Mein Plan war, sie zu begleiten. Wir haben dann tatsächlich auf der Strasse gespielt und heute sind wir noch immer ein Paar.
1999 hast du, nach elf Jahren als Musiklehrer im Schwabgut, den Entschluss gefasst, ganz auf die Musik zu setzen. Hast du die Arbeit mit Kindern nie vermisst?
Ich hab gespürt, dass das Musikunterrichten in einer Schule nicht wirklich mein Ding war. Andere können das sehr viel besser, sind viel motivierter und geduldiger. Als ich ein paar Mal Urlaub nahm, um mit Bands unterwegs zu sein, hat mir die Schulkommission nahegelegt, mich doch mal länger beurlauben zu lassen. Und dann bin ich nicht mehr zurückgekehrt. Mein Grossvater hat mir bis ans Ende seines Lebens immer wieder gesagt: «Ich wäre so gern Entertainer geworden», aber er hat den Schritt nicht wagen können. Dieser Satz, und der Entschluss, ihn im Alter selber nicht sagen zu wollen, haben es mir erleichtert, ganz auf die Karte Musiker zu setzen.
Aufzuzählen, was du heute alles machst, würde die Seite füllen; Komponieren für Theaterstücke, Doks, Kino- und Fernsehfilme, musikalisches Begleiten von Lesungen, Keyboarder bei «Patent Ochsner »... Was würdest du gar nicht tun, ausser nicht für Apéros zu spielen?
Ich spiele gern vor Leuten. Ich möchte dabei die Menschen mit meinen Tönen berühren. In dem Sinne schliesse ich keine Konzertsituation aus. Der Rahmen muss einfach gegeben sein, dass mein Spiel die Zuhörer erreicht. Ich habe auch schon auf der Strasse gespielt und am 1. Dezember spiele ich in der Altersresidenz Talgut in Ittigen. Darauf freue ich mich sehr.
Der Hype – bitte entschuldige den Ausdruck – auf die Konzerte von «Patent Ochsner»; riesige Freude oder manchmal auch ein wenig mit Druck verbunden?
Wir versuche, dies mit Demut zu nehmen. Wer unsere Konzerte besucht, spürt, dass wir bestrebt sind, jedesmal präsent zu sein und alles für diesen Moment zu geben. Das ist vielleicht der Druck, den wir uns machen. Ein ausverkauftes Konzert ist nie von vorneherein gelungen. Das haben wir uns auf die Fahne geschrieben. Ja, es ist eine grosse Freude, für so viele Menschen spielen zu dürfen.
Komponierst du auch Stücke von «Patent Ochsner»?
Die Stücke schreibt und komponiert (mit wenigen Ausnahmen) allesamt Büne.
Wie gehst du bei den vertonten Lesungen vor? Sind die Melodien in deinem Kopf oder vertonst du spontan und situationsbezogen?
Es ist alles schon vorgekommen. Von minuziös vorbereiteten Lesungen bis zu völlig improvisierten Textbegleitungen live. Es ist mir eine grosse Hilfe beim Komponieren, dass ich von Bildern und Worten inspiriert werde. Ich liebe das. Steht eine solche Arbeit an, dreht es mir manchmal nächtelang im Kopf. Da kann es schon mal vorkommen, dass ich in der Nacht aufstehe, um eine Idee festzuhalten.
Gibt und gab es grosse Unterschiede in der Art der Vertonung bei den unterschiedlichen Autoren – Arno Camenisch, Pedro Lenz und Beat Sterchi?
Ja, jeder dieser drei Autoren liest anders und hat andere Präferenzen, was Musik und Text anbelangt. Arno mochte vor allem genau gesetzte Zwischenmusiken. Bei Pedro Lenz durfte ich mich bei seinen drei Romanen sehr intensiv wie ein Filmmusiker ausbreiten. Beats Texte waren eher rhythmisiert und sich wiederholend, da passten vor allem rhythmische Patterns im «minimal music»-Stil.
Wann sind die besten Momente fürs Komponieren?
Der Morgen, obwohl ich kein Morgenmensch bin, hat eine gute Konzentration und Energie. Dann in der Nacht ab Mitternacht… was sozial nicht immer einfach ist. Manchmal fallen mir Melodien und Harmonien beim zufälligen Spielen zu. Irgendwo, irgendwann. Die nehme ich dann auf mein Phone auf. Das Ausarbeiten solcher Skizzen ist dann die wirkliche Büez und die jeweiligen Deadlines bestimmen dann den Arbeitstakt.
Wer bist du, wenn du nicht auf Bühnen stehst oder komponierst? Was tust du gerne nebst dem Kochen?
Ich hatte mal die Coop-Zeitung zu Besuch. Und es wurde festgehalten, wie ich ein Menü koche… Das mag den Eindruck vermitteln, dass ich ein grosser Koch bin… grins. Bin ich aber nicht. Aber: Ich koche gerne, das stimmt. Und ich trinke gerne guten Wein. Oder einen Negroni sbagliato zum Apéro. Musik ist bei mir allgegenwärtig. Und wenn nicht, liebe ich es, draussen zu sein. An der frischen Luft. In den Bergen oder an einem See. Und an der frischen Luft treffe ich zurzeit auch öfters Freunde – im Stadion.
Du lebst seit 40 Jahren im Breitsch. Was liebst du hier und wo bist du gerne unterwegs?
Das Nordquartier ist mein Dorf. Läden, Kneipen, Bars, ÖV, Zahnarzt, Osteopath, Hausarzt, Klavierwerkstatt, Schuhmacher, Coiffeur, Garagist sind um die Ecke, alles locker zu Fuss erreichbar. Ich bin oft im «Löscher» und in der Breitsch-Bar anzutreffen.
Wo zieht es dich hin, wenn du die Stille suchst?
In mein Atelier, oder in den Wald… oder wenn die Weite möglich ist, in die Bretagne oder auf eine griechische Insel ans Meer. Wenn du das Nordquartier vertonen würdest, wie klänge es? Das Nordquartier tönte für mich lange wie eine Schallplatte von Frank Zappa, z.B. «The Grand Wazoo» oder «Hot Rats»… Heute mit der zunehmenden Gentrifizierung tönt es eher wie das letzte «Coldplay»-Album. Einfach, dass ichs gesagt habe: Ich liebe das Nordquartier noch immer sehr. Und ebenso die ersten drei «Coldplay»-Alben.
Und zu guter Letzt: Welches Lied würde dich am ehesten widerspiegeln?
«Crystal Silence» von Chick Corea in der Duo-Version mit Gary Burton.