YBrahim Mostafa (Teil 2)

Jede negative Situation hat auch positive Seiten

Im ersten Teil berichtete YBrahim Mostafa wie «der Strassenfussballer aus Kairo» nach Bern kam, dass er Vater wurde, als Kellner arbeitete und schliesslich als Sportjournalist seiner grossen Leidenschaft, dem Fussball, frönen konnte. Doch damit ist noch nicht alles erzählt.

Aufgezeichnet von Katrin Bärtschi
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YBrahim mit den YB-Cracks Sandro Lauper (l.) und Fabian Lustenberger (r.), diesmal die Double-Pokale mit im (Bild. Bild: zvg)

Und dann kam das Massaker an Schweizer Touristinnen und Touristen in Luxor. Das hat mich wirklich sehr getroffen, ich ging überall in Bern erzählen, dass die Ägypter nicht terroristisch seien, dass das eine Gruppe gewesen sei, die den Tourismus kaputt machen wolle. Martin Hofer war inzwischen beim«10vor10». Ich meldete mich bei ihm und sofort rief die «Arena» mich an. Am Dienstag vorher hatte ein Kollege mich angerufen, er gehe nach Zürich die Leichen seines Onkels und dessen Frau abholen. Das hat mich sehr betroffen gemacht. In der «Arena» kondolierte ich allen Familien der Opfera. Ich wurde gefragt: «Warum halfen die Einheimischen den Opfern?» Ich: «Die Leute sind Bauern und sehr gastfreundlich. In Ägypten haben wir die Fremden gern.» Ich habe gute Erinnerungen an die Sendung, ich konnte als Ägypter der Schweiz mein Beileid aussprechen. Mein Name erschien mit dem Beisatz «Journalist».

Einen Tag später fand ich eine Pistolenkugel im Briefkasten. Ich brachte sie auf den Polizeiposten an der Moserstrasse. «Hast du Feinde?» «Nein, ich habe keine Feinde.» Sie machten einen Rapport. Ich rief dann mal an. Sie sagten: «Jä, wir haben nichts gefunden.» Sie haben sich schwach verhalten. Einmal beschimpfte mich ein besoffener Nachbar als Terrorist. Ich bin fast sicher, dass er es war mit der Pistolenkugel. Ein Kollege von mir, der ein Reisebüro hatte, erhielt einen mit Blut geschriebenen Brief. Ich ging dann zur «Blick»-Redaktion in Bern und sie machten mit mir ein Interview. Ich sagte: «Ich bereue nicht, dass ich in der ‹Arena› war, und ich kann mich zeigen.» Nach der Veröffentlichung des Artikels war ich sehr erleichtert. Ich sprach auch in der Stadt an der «Front» mit vie-len Leuten. Mein Vater hat mit Juden gearbeitet, ich habe mit Christen gespielt. Und gestritten. «Du blöder Christ!», «du dummer Moslem!» – das war kein Problem. Es ist ein seit 9/11 gemachter Kon-flikt. Seither ist alles wieder verschärft.

Ich machte dann den internationalen Sportausweis, eine Riesensache, die mir viel half. Aber ich schrieb nicht nur über Sport, sondern zum Beispiel auch für eine arabische Zeitung über den Jelzin-Besuch in der Schweiz.

Rassistische Bemerkungen erlebe ich immer noch. Es ist heavy. Vor etwa zehn Jahren kam ich ins Restaurant «Drei Eidgenossen». An der Bar stand ein Mann. Er sagte: «IS, IS, IS.» Und dann: «Ich habe nur Spass gemacht.» Ich: «Ich kenne dich nicht, mach Spass mit deinen Kollegen! » Dann war ich beruhigt, ich habe gelernt, zurückzugeben ohne Gewalt. Auch unter Kollegen werde ich manchmal komisch angeschaut oder nicht richtig gegrüsst. Das tut weh. Aber andere haben mich gern. Mohammed Salah, heute Liverpool, vorher Basel – mit ihm habe ich mehrere Interviews gemacht. Er ist ein disziplinierter Moslem. Sie haben gegen eine israelische Mannschaft gespielt. Ein Hinspiel im Joggeli. Am Anfang schütteln die Spieler einander die Hände, Salah ging sich die Schuhe binden. Ich las die arabischen Kommentare: «Dä schpinnt, gegen Israel zu spielen, man sollte ihm die ägyptische Nationalität wegnehmen.» Ich konnte mit ihm ein Interview machen nach dem Match. In der Garderobe war israelischer Sicherheitsdienst - wir gingen in den Fitnessraum. Das Rückspiel war in Israel. Salah sagte: «Soll ich hinreisen oder nicht?» Ich: «Du arbeitest mit der Firma FC Basel. Du gehörst zum Team, gehst Goals schiessen, kommst wieder zurück und fertig.» Und er schoss dann ein Goal, obwohl die Israeli ihn bei jedem Ballkontakt auspfiffen. Das war auch ein Highlight.

Ich reiste an jeden Kongress der Fifa in Zürich. Als Katar ausgewählt wurde, war ich schockiert. Jedes Kind weiss, sie haben die WM gekauft. Man gibt das Los doch einem Land, das eine Fussballinfrastruktur hat! Seither bin ich an keinen Fifa-Kongress mehr gegangen.

Ich verfolge nach wie vor jedes Spiel (Schweizer Meisterschaften oder Länderspiele, oder wenn eine Schweizer Mannschaft in Europa weiterkommt), ich schreibe auch weiterhin für arabische Zeitungen. Yakin akzeptiert mich und macht mit mir Geschichten, auch wenn er mit der «Blick»-Redaktion ein Problem hat. Ich bin nicht reich gewordern, aber ich bin stolz, dass ich als Strassenfussballer schreiben konnte, was ich geschrieben habe. Und als YB Meister wurde nach 32 Jahren, da war ich noch nach vier Stunden im Stadion. Beim Zürich-Meeting war ich früher ebenfalls dabei. Es gibt dort auch arabische Leichtathleten und Leichtathletinnen, es ist immer ausverkauft, es herrscht gute Stimmung, ist international. Ich konnte dem «Blick» immer spezielle Informationen liefern. Über Araber gibt es sonst ja vor allem negative Geschichten.

Ich machte auch zwei Dokfilme für arabische TV-Sender. Über den ägyptischen Verteidiger bei Xamax, Hany Ramzy. Das war ein wichtiger Film für mich. Roy Hodgson war sein Trainer, ihn interviewte ich auch. Ich wurde einmal angefragt, ob ich als Spielervermittler arbeiten und reich werden wolle. Aber das gefiel mir nicht. Das ist ja wie Menschenhandel. Meine Leidenschaft ist der Sport, aber zum Geld-verdienen habe ich auch bei der Basler Versicherung gearbeitet.

Ein Traum. Mit 76 ein Traum – eine gute Frage. Dass ich und meine Kinder gesund bleiben. Und meine Kollegen, Kolleginnen und Verwandten. Und dass Frieden herrscht auf der Welt. Mein Motto auf WhatsApp heisst: «Leben und leben lassen. Und positiv denken.» Ich habe ein paar Jahre Yoga gemacht. Die Kraft des positiven Denkens. Was vom Herzen kommt, geht zum Herzen. Früher war ich negativ eingestellt, negative Erwartungen. Jede negative Situation hat auch positive Seiten, sie sollen die Headline sein. Akzeptieren und weiterschaffen, analysieren, wo ist die gute Message in der schlechten Situation. Ich habe meine Sportreportagen mit Herz gemacht, darum hatte ich Erfolg. Und ich lernte auch die «Blick»-Sprache mit der Zeit...

In meiner Freizeit bin ich gern im Kulturmuseum am Schützenweg. Dort schauten wir auch die Schweizer WM-Spiele. Ich habe ein Grosskind. Ich habe mega Freud. Mein Sohn ist ähnlich wie ich, seine Frau ist Schweizerin. Das Grosskind ist blond und hat blaue Augen, ä Giel. Er heisst Sami Rahim. Ich bin glücklich und stolz. Und Fussball ist und bleibt meine Leidenschaft.

Aufgezeichnet von Katrin Bärtschi

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