Dieser Artikel wurde von der «Berner Zeitung» zur Verfügung gestellt.

Nach 29 Jahren ist Schluss

Letzte Runde im Luna Llena

In der Berner Quartierbeiz hatte Alexander Tschäppät einst einen zweifelhaften Auftritt. Jetzt soll das Restaurant in neue Hände übergehen.

Kaspar Keller (Text), Franziska Rothenbühler (Fotos)
Luna-Llena.jpg
Carolina Henzi, Tochter von Carlos Cornejo, der mit Daniel Münger (rechts) vor 29 Jahren das Luna Llena gegründet hat. (Foto: Franziska Rothenbühler)

In Kürze:

  • Während 29 Jahren war das Luna Llena eine legendäre Quartierbeiz im Berner Nordquartier.
  • Nun suchen Daniel Münger und Carolina Henzi eine Nachfolge.
  • Carlos Cornejo, der Vater von Carolina Henzi, hat sich aus gesundheitlichen Gründen bereits zurückgezogen.

 

Vor knapp zwei Monaten vermeldete der Instagram-Kanal der Berner Quartierbeiz Luna Llena, dass die Küche über Mittag geschlossen bleibe. Anfang Woche setzten die Betreiber einen weiteren Post ab: Nach 29 Jahren wollen sie die Schlüssel für das Lokal an der Scheibenstrasse, wo der Wyler auf das Breitenrainquartier trifft, abgeben. «Irgendwann im 2025», steht da in gelber Schrift auf einem silbernen Vollmond, «sagen wir Adios und Muchas Gracias.»

Zufall sind weder der Vollmond noch die spanische Grussformel. Denn noch älter als die Beiz ist die Gelateria Luna Llena, deren Produktionsräume sich zeitweise im Keller des Lokals befanden. Ein Foto einer Eiskugel erinnerte Daniel Münger, den Gründer der «Gela», an einen Vollmond – auf Spanisch: Luna Llena.

Luna-Llena_02.jpg
Luna Llena (sprich: Luna Yena) bedeutet Vollmond auf Spanisch.

«Wir sind ja eigentlich die Gela», sagt Carolina Henzi, «auch wenn die Abkürzung mittlerweile von ganz Bern für die Gelateria di Berna verwendet wird.» Die 41-Jährige ist das Patenkind von Daniel Münger und die Tochter von Carlos Cornejo, der wegen gesundheitlicher Gründe schon vor einem Jahr das Küchentuch an den Nagel gehängt hat. Der gebürtige Chilene war für viele Stammgäste seit dem Anfang das Gesicht des Lokals.

 

Treffen sich ein Koch und ein Konditor auf einer Baustelle…

Als am 11. September 1973 der sozialistische Präsident Salvador Allende vom Militär gestürzt wird, flüchten die Eltern von Carlos Cornejo von Chile nach Argentinien. Als drei Jahre später auch dort das Militär eine Diktatur errichtet, flieht die Familie in die Schweiz. «Mein Vater war damals erst vierzehn Jahre alt», sagt Carolina Henzi. Bald darauf macht Carlos Cornejo die Kochlehre, hält es im Beruf aber genauso wenig aus wie Daniel Münger, der seinen Job als Konditor hinschmeisst. «Ich hatte einen Chef der alten Schule, bei dem mir die Arbeit verleidet ist. Ich sagte zu mir: Nie mehr im Leben», sagt Münger.

In diese Lebensphase fiel auch ein Ereignis im Jahr 1981, bei dem Grenadiere der Stadtpolizei mit Gewalt gegen ein spontanes Fest beim Bärengraben vorgegangen seien. «Das hat mich als 18-Jährigen schon ein bisschen traumatisiert», sagt Münger. Es sollte sein Einstieg in die Jugendbewegung der 80er-Jahre werden.

Luna-Llena_04.jpg
Daniel Münger machte die Lehre als Konditor, arbeitete danach aber zehn Jahre auf dem Bau.

«Wir waren Teil der Berner Geschichte mit Zaffaraya und der Besetzung der Reitschule und hatten keine Zeit, als Koch oder Konditor zu arbeiten», sagt Münger. Er und Carlos Cornejo haben sich auf dem Bau kennen gelernt, wo sie sich während rund zehn Jahren mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielten.

Als Münger Anfang der 90er-Jahre Vater wird und den Job auf der Baustelle verliert, beginnt er im Marzili, Glace zu produzieren. «Ziemlich improvisiert», wie er anfügt. «Ich arbeitete zwei Saisons in einer Garage. Im Fruchthof an der Laupenstrasse habe ich Früchte geholt, die man sonst weggeworfen hätte.»

 

Bioglace und Drag-Shows

Nach zwei Saisons zieht Münger in den Keller an der Scheibenstrasse und stellt auf Bio um. «Carlos kam mit der Idee, in der ehemaligen Bäckerei im Erdgeschoss eine Bar zu eröffnen.» Mit weiteren Freunden gründeten sie dafür eine Genossenschaft, wo zu Beginn auch die Mitarbeitenden Anteilscheine hatten. «Doch wir lernten schnell, dass wir uns anders organisieren mussten. Letztendlich waren es halt doch nur Einzelne, die den Karren am Laufen hielten.»

Luna-Llena_03.jpg
Die Glace-Pioniere Carlos Cornejo und Daniel Münger im Jahr 2003.

Daniel Münger sah im Luna Llena nie eine Szene-, sondern eine Quartierbeiz. Einen Schmelztiegel, wo es ebenso Raum für Drag-Shows gab wie für Lesungen. Zu den Stammgästen gehörte der Autor Christoph Simon, der einem seiner Bücher den Titel «Luna Llena» gab. «Der Wirt im Buch ist zwar nicht sonderlich nett, aber Simon versicherte mir, dass er nicht von uns inspiriert sei», sagt Münger.

Auch das Angebot wurde sukzessive angepasst. «Am Anfang gab es noch diese riesigen Coupes mit Rahm, Früchten und Saucen», erinnert sich Carolina Henzi, die quasi im Luna Llena aufgewachsen ist.

 

Bierdusche und Motherfucker-Skandal

Im Luna Llena sitzt auch mal der Anzugträger mit dem Barfuss-Hippie am selben Tisch. Nicht selten wird die Theke von einer «Sirüpli-Gang» in Beschlag genommen. «Wir schenken Sirups für Kinder gratis aus. Es gibt mehrere Grüppchen, die nach der Schule zu uns kommen, um ‹eis cho zie›», sagt Carolina Henzi.

Was sich in den drei Jahrzehnten verändert hat? «Die Kinder sind gross geworden. Vom Sirup zum Whisky», sagt Daniel Münger.

Noch immer gibt es im Luna Llena Konzerte, wenn auch seltener und kleiner als zu Beginn. Zudem werden seit je Fussballspiele übertragen. «Wir haben die jahrzehntelange Leidensgeschichte von YB bis zur ersten Meisterfeier miterlebt», sagt Daniel Münger.

Luna-Llena_05.jpg
Seit Mitte Oktober ist das Luna Llena über den Mittag geschlossen.

Im Jahr 2010 war YB wieder mal nah am Titel. In den letzten sieben Heimspielen trat jeweils die Mundart-Trashband Mani Porno in der Beiz auf. «Nach dem Sieg gegen den FCZ stolperte dann auch noch Alexander Tschäppät herein», erinnert sich Münger.

Als der Stadtpräsident vom Sänger erkannt wurde, bat ihn dieser direkt auf die Bühne. Beim Lied mit der Refrainzeile «Sämi Schmid Motherfucker» sang Tschäppät nicht nur mit, er nahm sich sogar die künstlerische Freiheit und ersetzte den Namen des früheren SVP-Bundesrats mit Christoph Blocher. «Tschäppät scheint es hier gefallen zu haben. Erst im Nachhinein hat er wohl gemerkt, dass er sich nicht ganz korrekt verhalten hatte», sagt Münger.

Im Unterschied zu gewissen anderen linksalternativen Lokalen werden im Luna Llena auch Menschen in Uniform bedient. Und mit Igeli-Frisur? Als Erich Hess im Sommer 2016 mit dem damaligen SVP-Stadtrat Roger Mischler auf einer Beizentour auch im Luna Llena haltmacht, leert ihm ein «bärtiger Mann mit feurigem Blick», so die Beschreibung von Mischler, ein Bier über den Kopf.

Luna-Llena_01.jpg
Carolina Henzi und Daniel Münger erzählen Anekdoten aus 29 Jahren Luna Llena.

Zwei Episoden in der Geschichte des Lokals waren besonders dramatisch. Im Jahr 2014 verletzte während des Mittagsservice ein schizophrener Stammgast seinen Arzt von hinten mit einem Hammer am Kopf. Der Täter war davon überzeugt, dass der Arzt ihm seine Organe gestohlen hatte. Nachdem er zugeschlagen hatte, ging er an die Bar und bestellte bei Münger eine Stange. Dieser verständigte sofort die Polizei.

Zwei Jahre später fuhr ein Autofahrer bewusst in eine Menschengruppe, die sich vor dem Lokal aufhielt. Einige konnten sich mit einem Sprung in Sicherheit bringen, zwei Personen wurden verletzt und mussten ins Spital.

 

Die Suche nach einer Nachfolge läuft

Der Entscheid, die Beiz in neue Hände zu geben, gärte bei Daniel Münger schon länger. «Zuletzt war ich vor allem im Hintergrund tätig. Viele Leute wissen gar nicht, dass ich noch hier arbeite», sagt der 62-Jährige. Carolina Henzi spielte mit dem Gedanken, den Betrieb weiterzuführen. Die Mutter von drei Kindern, die nebenbei noch als Crossfit-Trainerin aktiv ist, entschied sich aber dagegen. «Wollte ich als Kind meinen Vater sehen, musste ich ins Luna Llena gehen. Das möchte ich nicht für meine Kinder», sagt die 41-Jährige.

Darum läuft die Suche nach einer Nachfolge; irgendwann im Jahr 2025 soll die Übergabe stattfinden. «Wir haben keinen Zeitdruck», sagt Carolina Henzi. Seit Montag sammelt sie nun noch Anekdoten von Stammgästen, die sie im Lokal präsentieren will. «Zudem wollen wir noch 29 Events durchführen», sagt sie. «Ich will noch mal eine Drag-Show.»

afdn_skyscraper_migros-min.jpg