«Bi üs im Quartier»
Zum Jubiläum der Band sind zwei umfangreiche Bücher erschienen, die die Geschichte seit 1984 nachzeichnen und erstmals auch Kuno Laueners Texte und Zeichnungen vereinen.
Nach dem Album «Loch dür Zyt» im Dezember 2023 und der Veröffentlichung des Podcasts «8424» gibt es auch Ende dieses Jahres wieder gute Neuigkeiten von Züri West. Zum 40-Jahr-Jubiläum erscheinen zwei mächtige und prächtige Bücher, zusammen knapp viereinhalb Kilo schwer. Buch 1, «Züri West», zeichnet anhand von rund 1200 (!) Fotos die Geschichte der Band von 1984 bis heute nach. Buch 2, «Klauener », enthält alle Songtexte von Kuno Lauener, ergänzt mit bisher unveröffentlichten Zeichnungen aus seiner Hand. «Wir hatten schon länger die Idee, unsere Geschichte in Buchform aufzuarbeiten, verschoben das Vorhaben dann aber immer wieder. Jetzt, wo klar ist, dass wir nicht mehr auf die Bühne können, haben wir die Sache konkret in die Hand genommen», sagt Stefan Mischler, Bandmanager und Co-Produzent der Bücher. «Relativ schnell entschieden wir uns, das Ganze in zwei Bände zu gliedern. Einerseits die Fotos zu zeigen und anderseits Kunos Texte mit seinen Bildern und Illustrationen. Manche sind schon während des Schreibes entstanden, andere später.»
Während es beim Text-Buch auch um Vollständigkeit geht, war der Umfang beim Foto-Buch zuerst offen: «Wir trafen mit mehreren Fotografen eine Vorauswahl, das waren schon Zehntausende von Bildern. Schlussendlich sagten wir uns: Es gibt gar keinen Grund, die Sache schmal zu halten», so Mischler. Ein weiser Entscheid, Interesse und Nachfrage sind gross. Nach zehn Tagen waren bereits drei Viertel der gedruckten Auflage verkauft. «Wir bekommen oft Briefe von Leuten, die schreiben, Züri West sei der Soundtrack ihres Lebens. Solche Menschen haben sicher Freude an den Büchern, weil sie zurückschauen und sich erinnern können. Insofern ist es schon eine Fan-Geschichte. Etwas für Menschen, die uns begleitet haben. Aber auch etwas für Menschen, die einen Sinn für Fotografie mitbringen und grundsätzlich für Musik.»
Volles Haus an der Vernissage
Dass Züri West bis heute bewegen, zeigte auch die Buchvernissage vom 28. November im «Löscher» am Viktoriaplatz. Gekommen waren die ganze Berner Musik-Szene und Stapi Alec von Graffenried, frühere Wegbegleiter, bekannte Szenegänger und YB-Grössen, darunter Christoph Spycher, Stéphane Chapuisat oder Lars Lunde. An den Wänden hingen 33 ausgewählte Bildsujets aus dem Buch, gedruckt auf grosse Kunststoffblachen, die nun in einer Siebner-Auflage und in drei Grössen auch käuflich sind.
Das bisher letzte Züri-West-Konzert fand am 15. September 2018 in Stäfa statt. 2021 machte Kuno Lauener seine MS-Erkrankung publik. Von Melancholie oder Wehmut war im «Löscher » aber nichts zu spüren. Sondern vielmehr freudige Erwartung auf einen weiteren Wurf dieser Band, die die meisten Menschen im Saal seit vier Dekaden begleitet. Zu hören waren Neu-Interpretationen ihrer Hits, von einer eigens für diesen Abend durch den Rapper Baze zusammengestellten Band und Sängerinnen und Sängern wie Steff la Cheffe oder Phenomden. Davor las Schauspieler Marcus Signer ausgewählte Songtexte vor und Bänz Friedli hielt eine Laudatio. Auch der Kulturjournalist Sam Mumenthaler kam zu Wort, der erste Drummer der Band. Von ihm stammen die Texte im Foto-Buch, geordnet nach den Veröffentlichungsjahren der Alben, «erzählt strikt aus der Bandperspektive ». Mumenthaler spricht vom «lauten» Buch und nennt es «Rock’n’Roll in Bildern». Und er und Friedli forderten im «Löscher», «Kuno endlich einen Literaturpreis zu geben».
Kuno ist nun Ehrendoktor
Am 7. Dezember wurden sie hochoffiziell erhört, wie wir nun wissen, als die Uni Bern Lauener am traditionellen «Dies academicus» im Casino die Ehrendoktorwürde verlieh. Und zwar explizit für «sein poetisches Schaffen und seinen Beitrag zum sprachlichen Kulturgut der Berner Mundart». «Er hat das Image der Stadt Bern als spannenden und attraktiven Ort lebendiger Jugendkultur mitgeprägt, und seine Texte und seine Musik berühren viele Menschen seit vierzig Jahren», sagte Rektorin Virginia Richter zur Entscheidung, die von der Gesamtuni und nicht von einer einzelnen Fakultät getragen wird. Lauener konnte die Auszeichnung nicht persönlich entgegennehmen. Er liess ausrichten, dass er diese Ehre zwar nie im Leben erwartet habe. «Aber der Doktorhut steht mir gut und die Freude ist gross!» Bald fielen in Fankreisen Vergleiche mit Bob Dylan, der 2016 als erster Musiker den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte.
Zurück zur Buchvernissage: Dass sie im «Löscher» stattfand, ist keineswegs Zufall. Züri West sind mit dem Nordquartier seit ihren Anfängen stark verbunden, diese Umgebung hat ihre Musik massgeblich beeinflusst. Ein frühes Beispiel dafür verkörpert die an der Vernissage ebenfalls anwesende Grazia Pergoletti, die Mitte der 1980er-Jahre in der «Brass» Lorraine arbeitete. Lauener sei damals Stammgast gewesen, habe am Morgen immer Kaffee und Gipfeli bestellt und sei wohl von ihrem Basler Dialekt fasziniert gewesen, wie sie auch im Podcast erzählt. Ihre einprägsame Stimme – «Was isch wo aagsäit?» – ist im Intro von «Hans Peter zu hören», enthalten auf der Maxi-Single «Kirchberg» von 1986. Klar verortbare Reminiszenzen an die Lorraine und den Breitsch gibt es in den Songs einige. Eine besonders innige in «Fisch», dieser eindringlichen Liebeserklärung ans Lorrainebad auf dem Album «Bümpliz-Casablanca» von 1989. Ein «musikgewordener Sommernachmittag », wie Mumenthaler treffend schreibt.
YB und das Stammlokal
Auf dem Album «Arturo Bandini» von 1991 gibt es gleich zwei Tracks mit direktem Bezug. Einerseits «Bi üs im Quartier», in dem der bekannte Ich-Erzähler von einer Frau mit dem Tankwart verwechselt wird. Anderseits «Hütt hei sie wieder mau gwunne», der wohl beste und stimmigste YB-Song aller Zeiten. In den «fetten» Jahren seit dem Meistertitel 2018 ist er kurzzeitg etwas in den Hintergrund geraten, nun aber aktueller denn je. «Arturo Bandini» gilt in geneigten Kreisen (der Autor dieser Zeilen gehört dazu) als ikonischstes Werk der Band mit einem perfekten Spannungsbogen. Eines der «literarischsten Alben», schreibt Mumenthaler, «voller Referenzen an unsere Inspirationsquellen – von den Beatles bis zu den Young Boys». Allein für diese dreizehn Songtexte ist die Ehrendoktorwürde gerechtfertigt.
Zu erwähnen sind weiter die Titel «Boulevard» auf dem Album «Super 8» von 1999 und natürlich «Römer» auf «Aloha from Züri West» von 2004. Letzterer ist Laueners Ode an sein früheres Stammlokal am Turnweg, wo er auch jahrelang wohnte, im selben Haus wie der frühere Gitarrist Peter von Siebenthal. Bis 2016 führte der Italiener Alessandro La Marra das Restaurant. Während dieser Zeit hing auch eine Platin-Auszeichnung für das Album an der Wand. Mehrere der Bandmitglieder lebten unterschiedlich lange und zum Teil bis heute im Nordquartier. Lauener bereits bei der Gründung im Februar 1984, damals an der Attinghausenstrasse. Seine Beziehung zur Lorraine reicht aber noch weiter zurück, machte er doch seine KVLehre bei der damaligen Hallwag am Dammweg.
1987 wohnte er gemeinsam mit Gitarrist Küse Fehlmann ein halbes Jahr lang in einem Haus, das später abgebrochen wurde. Tagelang philosophierten die beiden dort über Musik und aus dieser Atmosphäre heraus entstanden auch Songs wie «7:7», enthalten auf dem Album «Sport und Musik» von 1988. Eine wichtige Adresse in der Bandgeschichte ist die Jurastrasse 15. Stefan Mischer, der die Band seit den Anfängen kennt und das Management 2006 nach dem schweren Unfall von Housi Schneeberger übernahm, hatte dort bereits in den frühen 1990er-Jahren sein Büro, untergebracht in einer früheren Garage. Von 1996 bis zur Jahrtausendwende mietete dann die Band die Räumlichkeit als Zentrale, bevor sie an die Grabenpromenade in die Altstadt zog.
«Tour de Lorraine»
Ein absoluter Höhepunkt im Zusammenspiel zwischen Züri West und Quartier ereignete sich über Ostern 1999. Wer dabei war, schwärmt noch heute davon. Da waren die «Brass», das «Du Nord» und das «Café Kairo», finanziell nicht auf Rosen gebettet. Und da war die Band, die sich nach zweieinhalb Jahren Live-Abstinenz für die «Super 8»-Tour einspielen wollte und deren Mitglieder regelmässig in den drei Lokalen verkehrten. Gemeinsam entstand deshalb die Idee zu einem dreiteiligen Solidaritätskonzert. Die noch heute existierende «Tour de Lorraine» war geboren, so getauft von der Band selber. Gleichzeitig wurde dabei auch der damals neue Gitarrist Tom Etter, Nachfolger von Peter von Siebenthal, vorgestellt. Werbung gemacht wurde für die Tour nur halb inkognito auf Bierdeckeln, doch das Vorhaben sprach sich herum. Die drei überschaubar grossen Betriebe waren gerappelt voll, der Wohnzimmer- Groove einzigartig. Doch auch wer kein Ticket ergatterte, blieb vor Ort. «Züri West liegt in dieser lauen frühlingshaften Vollmondnacht auch rund um das Kairo in der Luft. Ohne Leinwand-Übertragung blubbert die atemlose Stimmung aus dem Keller zur improvisierten Party draussen am Dammweg», schrieb Brigitta Niederhauser im «Bund».
Kuno Lauener sagte im selben Jahr in der «Berner Zeitung» zum Reiz der Lorraine: «Hier kann ich morgens ungekämmt und in Zogglen über die Strasse Gipfeli holen gehen, ohne dass mich jemand blöd anstarrt.».Nur einmal habe er Dealer vor seiner Haustür verjagen müssen. «Die haben mich genervt. Und schliesslich ist da vorn ja auch grad der Kinderspielplatz.» Bis in die 2000er-Jahre hinein wohnte er am Turnweg. Und danach noch eine Weile bei der Kreuzung Wyttenbach-/ Breitenrainstrasse in einem Eckhaus. Im «SonntagsBlick» sagte er 2010 zur Entstehung des Albums «HomeRekords»: «Ich bin kürzlich umgezogen und wohne jetzt im Westen an der Stadtgrenze. Beim Umzug habe ich einen Koffer mit diesen Demo- Versionen ausgegraben. Die Songs tönen noch immer sehr gut, finden wir. Wir wollten sie unseren Fans nicht vorenthalten.» Ohne Nordquartier hätten viele Songs und Alben eine andere Färbung gehabt. Lorraine und Breitenrain trugen massgeblich dazu bei, Züri West nicht nur für viele Bernerinnen und Berner zur Lieblingsband zu machen. Und zwar «forever ». Nun nachzulesen in diesen beiden Büchern, die wir Ihnen vorbehaltlos empfehlen können.