Corinnas Quartier Talk

Corinnas Quartier Talk mit Regula Rytz

Es ist medial etwas ruhiger geworden um Regula Rytz, bis 2022 Nationalrätin, bis 2020 Präsidentin der Grünen Partei und seit 2022 Präsidentin der Entwicklungsorganisation Helvetas. Wie geht es ihr heute mit weniger Politik und mehr Entwicklungshilfe?

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Eine Frau mit vielen Interessen und Vorlieben: Regula Rytz. Bild: zVg

Regula Rytz studierte nach dem Semer in Thun und nach einigen Jahren als Volksschullehrerin in ländlichen Gemeinden Geschichte und Soziologie sowie Staatsrecht an der Uni Bern. Ihre politische Karriere startete sie als Grossrätin des Grünen Bündnisses, war bis 2004 Zentralsekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und ab 2005 Mitglied der Stadtregierung sowie VR-Präsidentin von Bernmobil. Sie engagiert sich heute als Präsidentin der kantonalen Fachkommission für Gleichstellungsfragen, ist Mitglied des Verwaltungsrates der Verkehrsbetriebe Biel, Vize-Präsidentin des Forums für Universität und Gesellschaft der Uni Bern sowie seit Kurzem im Stiftungsrat des Konservatoriums Bern. Seit ihrem Rücktritt aus der Politik 2022 ist Regula Rytz, nebst den genannten Mandaten, als Beraterin mit eigener Firma tätig.

Frau Rytz, fehlt Ihnen etwas vom täglichen politischen Alltag?
Ja. Die Arbeit an konkreten Entscheidungen. Es war schon sehr cool, sich immer wieder in ein Thema reinzuknien, Lösungen zu suchen und andere davon zu überzeugen. So haben wir zum Beispiel in einer überparteilichen Allianz das Radiostudio Bern gerettet. Leider ist mit der «Halbierungs-Initiative» der nächste Angriff auf die öffentlichrechtlichen Medien im Gang. Es braucht viel Ausdauer, um immer wieder von vorne anzufangen.

Gab es Kommunikationsthemen in der Politik, die Sie heute für Ihre Beratungen nutzen?
Klar! Ich war ja 30 Jahre lang in politischen Ämtern aktiv und habe an unzähligen Debatten und Podien teilgenommen. Dabei habe ich gelernt, die Dinge einfach und konkret zu sagen. Ich will keine Floskeln abspulen, sondern präzis recherchieren, worum es geht. Sehr wichtig ist mir auch, Schwierigkeiten offen auf den Tisch zu legen. Nur wer realistisch und wertschätzend ist, kann Vertrauen aufbauen. Das Trump- Gebrüll dagegen führt in die Sackgasse.

Verfolgen Sie die politische Entwicklung weiterhin aus den Augen der Politikerin oder eher als Privatperson?
Als engagierte Bürgerin. Ich kann es kaum fassen, in welchem Tempo heute die internationalen Spielregeln und die Lebensgrundlagen der Menschen zerstört werden. Da kann ich nicht stillsitzen. Ich engagiere mich deshalb in Abstimmungskampagnen, zum Beispiel für die Solarenergie, oder bei den Europäischen Grünen.

Stammen Ihre Kund:innen für Kommunikationsfragen mehrheitlich aus der Politik oder aus privaten Unternehmen?
Es sind vor allem Organisationen aus den Bereichen Bildung, Kultur und Nachhaltigkeit. Dabei geht es nicht nur um Kommunikation, sondern auch um Strategieentwicklung oder die Leitung von Projekten.

Welche Themen liegen Ihnen als Präsidentin von Helvetas besonders nahe am Herzen?
Die Berufsbildung, gerade auch für Frauen. Über 40 Prozent der Weltbevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Damit diese jungen Menschen ein eigenständiges Leben aufbauen können, brauchen sie eine solide Grundbildung und ein stabiles Einkommen. Hier kann Helvetas viel bewegen. Wir unterstützen die Privatwirtschaft in unseren Projektländern bei der Schaffung von Lehrstellen, zum Beispiel im Elektrogewerbe oder im Tourismus. Und wir fördern den Zugang von KMU zu Finanzdienstleistungen und digitaler Transformation. Leider stehen wegen der Kürzung der Entwicklungsgelder in der Schweiz und in den USA immer weniger Mittel zur Verfügung. Die Spaltung zwischen Arm und Reich verschärft sich gerade enorm.

Wie sieht für Sie sinnvolle Entwicklungshilfe aus?
Ich verstehe unsere Arbeit nicht als Hilfe, sondern als Unterstützung zur Selbständigkeit. Der Kolonialismus und die westliche Handelsdominanz haben in den Ländern des Südens viel zerstört. Sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit verbindet deshalb die Bekämpfung von Armut mit langfristigen Zukunftschancen. Dazu gehören auch faire Rahmenbedingungen für den Abbau von Rohstoffen und die Klimagerechtigkeit. Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet jene Menschen am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leiden, die am wenigsten Treibhausgase produzieren. Mir geht es um Fairness.

Wer ist die «nicht öffentliche» Regula Rytz? Mag sie ein bisschen von sich erzählen?
Ich spiele Klavier, singe in einem Chor, lese und wandere gerne und füttere im Winter Vögel auf meinem Balkon. Ich bin sehr zufrieden so.

Sie leben seit jeher im Breitenrain. Was hält Sie so lange im Nordquartier?
Wunderbare Nachbarn und tolle Dienstleistungen in Gehdistanz. Hier gibt es alles: eine wachsende Beizenszene, Reparaturbetriebe, eine Bibliothek, spannende Kultur- und Begegnungsorte, Grünräume, Schwimmbäder, Sportstadien und Läden für jeden Geschmack. Mein Samstagseinkauf führt meist in den Wylereggladen (der älteste Bioladen im Quartier) und oft in die Metzgerei «Boulotte». Ich bin zwar Vegetarierin. Aber wenn dann doch mal Fleisch in den Topf kommt für unsere Gäste, dann Biofleisch aus der Region.

Wo zieht es Sie hin, wenn Sie Ruhe und Entspannung suchen?
In die Berge. Ich mag die stotzigen Höger, denn da ist nie viel los.

Wo erleben Sie hier am liebsten Kultur?
In der «Cappella». Kürzlich habe ich dort den grossartigen Bänz Friedli gesehen.

Welche Frage, die Sie gerne beantwortet hätten, wurde Ihnen in all den vielen Interviews noch nie gestellt, und wie würde die Antwort auf die Frage lauten?
Ich wurde noch nie gefragt, wohin ich gerne reisen würde. Das ist auch kein Wunder, denn in meiner Freizeit bin ich meist per Velo unterwegs und mache keine grossen Sprünge. Aber es gibt doch einen Reisewunsch. Mich zieht es nach Polen. Dort liegt – im früheren Schlesien – der Geburtsort meiner Mutter. Sie ist vor einem Jahr gestorben und ihr Leben war von Krieg und Aufbruch geprägt. Ich möchte verstehen, warum sie trotz der Not in ihrer Jugend so heiter bleiben konnte. Und ich möchte mehr über die aktuelle Situation im Osten erfahren. Hier entscheidet sich heute die Zukunft Europas und damit auch der Schweiz.

Frau Rytz, herzlichen Dank für Ihre Zeit und weiterhin viel Freude und Musse in Ihren Tätigkeiten.

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